Die gesamte IT Industrie vermittelt den Eindruck der explosionsartigen Innovation, die immer wieder in enorm kurzer Zeit die gesamte Welt durcheinander rüttelt und verändert. Diese regelmäßigen Erdbeben, die unsere Welt erschüttern, kommen dabei quasi unvorhersagbar und völlig überraschend.
Sollte man einer Industrie trauen, die sogar den Jahrzweitausendwechsel für ein sehr überraschend eingetretenes Ereignis hielt? Wohl kaum! Meistens kommen die Veränderungen gar nicht so überraschend, wenn man die Landschaft einigermaßen aufmerksam beobachtet.
Ein Beispiel ist das Thema Cloud Computing. Konzeptionell ist es 1995 bei IBM unter dem Namen Network Computing erfunden worden. Man brauchte damals nach der Beinahe-Pleite von 1992 eine neue Story. So erklärte man nach dem Mainframe auch das Paradigma Client-Server (in dem IBM so jämmerlich versagt hatte) für tot und verkündete den in der IT beliebten Paradigmenwechsel zu Network Computing.
Zwischenzeitlich hat sich der Name vielfach geändert. Application Service Provisioning, Utility Computing, Business on Demand und momentan heißt es Cloud Computing. Im Grunde ist das Konzept zwanzig Jahre alt und es war als Technologietrend immer sichtbar. Wieso ist man überrascht, dass es endlich auch wirklich einsetzbar ist?
Ebenfalls Mitte der 90er hat eines der Teams an unserem IBM Forschungszentrum in Heidelberg eine Software entwickelt, die es erlaubte, Banken-ATMs um Multimediafunktionalität zu erweitern, über ISDN zu vernetzen inklusive einer on-demand Videokonferenzfunktionalität zu einem Beratungszentrum. Es war schon damals klar, dass die Filialdichte in Deutschland auf Dauer nicht haltbar war und man personalärmere Strukturen brauchte. Zwanzig Jahre später kommt diese Veränderung vermeintlich plötzlich, tatsächlich hätten sich viele Unternehmen mit großer Gelassenheit vorbereiten können. Als nächstes wird wahrscheinlich die Versicherungsindustrie überrascht davon, dass Versicherungsvertrieb nicht mehr so stattfindet wie in den letzten Jahrzehnten?
Manchmal kommen mir diese Manager vor wie der Mann, der aus dem 60sten Stock eines Hochhauses springt und beim Passieren des 30sten Stocks meint: „Ich weiß nicht, was die Leute haben, es ist doch alles nicht so schlimm!“
Wir wissen meistens, dass der Wandel kommt, aber oft kennen wir den Zeitpunkt des Eintreffens nicht ganz präzise. Und so hoffen wir alle, dass der Kelch wenigstens an uns vorbei geht. Bis wir in Pension sind oder einen anderen Job haben, wird das Legacy schon halten, wird unser Geschäftsmodell noch funktionieren. Was soll ich mir da durch voreilige Investitionen den Bonus verderben! Es ist wie in der Politik: die Effekte des demographischen Wandels sind auf Jahrzehnte vorher genau auszurechnen, aber jeder weiß, dass man die jetzige Legislaturperiode noch überleben wird.
Kurz und gut: Wir haben fast immer viel Zeit, wenn wir nur rechtzeitig handeln würden. Bei den CIOs kommt noch ein weiteres berufstypisches Verhaltensmuster hinzu: Wir neigen dazu, uns in dem zweidimensionalen Raum aus Dringlichkeit und Wichtigkeit immer mit den dringenden Themen zu beschäftigen und lassen die wichtigen, aber nicht dringenden Themen in unserer Agenda hinten runterfallen. Beobachten Sie sich einmal selbst im Alltag. Hier können Sie selbst aktiv durch Veränderung des eigenen Verhaltens etwas bewegen!
Teil 5 „Wir lernen aus der Geschichte!“ erscheint in Kürze.
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Rainer Janßen | 02.05.2018