Warum gibt es so viele Ehescheidungen? Ein Grund ist sicher, dass sich nach ihrer Jugend fast alle Menschen nur noch wenig in den Grundzügen ihres Verhaltens ändern. Vielleicht nach einem persönlichen traumatischen Erlebnis, einer wirtschaftlichen Katastrophe, Krieg, Terror etc., aber sonst ist der Mensch erstaunlich hartnäckig, seine gewohnten Verhaltensweisen und Marotten beizubehalten, egal was es kostet. Wenn Ihnen also am Beginn einer Beziehung Eigenschaften am möglichen zukünftigen Ehepartner auffallen, die Sie wirklich stören, dann fragen Sie sich, ob Sie damit leben können. Denn Sie werden weder den Ordnungsfreak zum entspannten, gemütlichen Umgang mit diesem Thema bringen, noch den eher schweigsamen Typ, der Small Talk hasst, zum charmanten Plauderer umerziehen. Menschen sind, wie sie sind. Und sie haben einen großen Drang, so zu bleiben, wie sie sind.
Schaut man sich in der Managementliteratur um, aber auch in den Personalprogrammen großer Unternehmen oder in Berichten großer Wirtschaftsjournale, dann scheint jedoch eine Toppriorität aller Manager zu sein, den Menschen aufgrund von Digitalisierung, Globalisierung, Klimawandel, neuen Geschäftsmodellen, Künstlicher Intelligenz, Robotern etc. verändern zu wollen. Dabei muss man zuerst einmal unterscheiden, ob es hier nur um die Nutzung neuer Technologien und Arbeitsprozesse geht, oder ob es sich um wirkliche Veränderungen des Menschen handelt.
Natürlich sind Menschen, die etwa mit einer bestimmten Technologie wie dem Smartphone aufgewachsen sind, in der Nutzung dieser Technologie meist geschickter als Ältere. Aber diese älteren Menschen haben inzwischen Facebook zu einem großen Teil für sich erobert und auch in WhatsApp sind sie schon massiv dabei. Sie werden zwar im Alter niemals mehr so schnell die Tastatur oder den Touchscreen bedienen wie die jungen Leute, die seit ihrem fünften Lebensjahr ihre Finger trainiert haben. Das ist wenig anders als beim Klavier spielen. Aber ganz viele ältere Menschen lernen doch, diese Werkzeuge rasch ganz vernünftig zu nutzen. Man konnte es auch zu Corona-Zeiten erleben, dass viele Großeltern mit FaceTime oder Skype mit ihren Enkeln nicht nur kommuniziert, sondern auch gespielt oder gelernt haben.
Anders ist es bei Qualifikationen, die mit den Grundstrukturen einer Persönlichkeit zusammenhängen. Wenn man etwa einen introvertierten Mitarbeiter hat, dann nützt es wenig, ihn ins Open-Space-Büro zu versetzen oder ihn auf immer neue Kreativseminare zu schicken. Aber das ist das, was in vielen Unternehmen ein Lieblingsthema der Personalabteilungen ist. Jedes Jahr wieder wird im Mitarbeitergespräch zwischen Vorgesetztem und Mitarbeiter analysiert, wo denn die Schwächen und deshalb auch das Verbesserungspotential des Mitarbeiters liegen. Und dann schaut man gemeinsam ins Kursprogramm der Personalabteilung und findet doch noch einen Kurs, den der Mitarbeiter noch nicht gemacht hat. Und es nützt alles nichts und nächstes Jahr suchen Sie gemeinsam mit dem Mitarbeiter den nächsten Kurs.
Der Traum vieler Führungstheoretiker scheint der austauschbare Mensch zu sein, die eierlegende Wollmilchsau, der überall und für Alles einsetzbare Mitarbeiter. Man spricht dann etwas nebelhafter von dem Menschen als fungibler Ressource, dessen Kapazität in PY oder FTE – person year oder full time equivalent – gemessen wird. Dann wäre das Leben für den Manager um so vieles einfacher und er müsste sich vor allem nicht mehr um den Einzelnen kümmern und ihn verstehen lernen. Aber diesen Menschen gibt es nicht.
Menschen sind, wie sie sind. Mit ihren Schwächen und ihren Stärken. Sie sind nicht beliebig umprogrammierbar und nicht austauschbar. Statt unglaublich viel Zeit und Geld aufzuwenden, um ihre vermeintlichen Schwächen auszubügeln, leben Sie lieber mit ihren Schwächen und stärken Sie ihre Stärken. Wenn Ihr absoluter Star-Techie keine vorstandskompatiblen Vorträge halten kann, schicken Sie ihn um Himmels Willen nicht zum nächsten Top-Presenter-Workshop. Lassen Sie jemand anderen den Vortrag halten, nehmen Sie ihn vielleicht als Rückversicherung mit, falls doch mal eine schwierige technische Frage aufkommt. Schicken Sie ihn lieber zur Star-Trek-Techie Konferenz, geben Sie neue Tools oder Gadgets zum Ausprobieren, stärken Sie seine Stärken.
Viele Organisationen verlieren durch ihren Drang, alle Mitarbeiter über einen Kamm zu scheren, alle gleich machen zu wollen, gerade die besonderen Menschen, die den Unterschied machen. Unsere ganzen Auswahlprozeduren, wie die Assessment-Center und die Personalentwicklungs- und Weiterentwicklungsprogramme, sind ausgerichtet, Durchschnitt zu fördern und Menschen organisationskompatibel und austauschbar zu machen. Das kostet viel Geld, noch mehr Zeit und ganz viel Frust. Und es bringt meistens gar nichts. Es ist so viel effizienter, die Menschen so zu nehmen, wie sie sind, und dann den Aufgaben zuzuordnen, die sie gerne und mit Begeisterung ausführen wollen. Wenn Sie beispielsweise Ihrem Top-Experten etwas Gutes tun wollen, befördern Sie ihn um Himmels Willen nicht zum Manager: Sie machen sowohl ihn als auch seine Mitarbeiter zu unglücklichen Menschen.
Ein indischer Professor an der INSEAD in Fontainebleau, der sich besonders mit Change-Management beschäftigte, erzählte mir einmal folgende Geschichte: Im Frühjahr, wenn die Bäume langsam grün wurden, spazierte er im Park um seine Universität. Er war voller Energie, freute sich an der aufblühenden Natur, lauschte den Vögeln und griff nach den frischen Zweigen. Im August war er immer zum Familienbesuch in Kalkutta. Meist verdämmerte er in der schwülen Hitze den Tag, fuhr abends mit klimatisierten Autos zu Familientreffen, war meist kraft- und lustlos. War er ein anderer Mensch geworden? Nein! Nur das Klima war anders. Und so muss man oft in Unternehmen meist nicht die Menschen in den Unternehmen ändern. Es reicht oft, die Fenster zu öffnen und etwas frische Luft hereinzulassen!
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Rainer Janßen | 25.11.2022