Nun habe ich schon 33 Blogbeiträge über Management geschrieben und immer noch nichts über Leadership gesagt. Dabei verlangen die Mitarbeiter doch, glaubt man den LinkedIn Beiträgen zu dem Thema, so sehr nach Leadership, einem Visionär und inspirierenden Motivator, Coach und Helfer. Sie brauchen, insbesondere die Generation Z, keinen Manager mehr, sondern einen charismatischen und empathischen Leader, der sie bei der Erreichung ihrer hochgesteckten Ziele unterstützt, statt sie zu kontrollieren und ihnen Vorschriften zu machen.
Klang das jetzt irgendwie ein bisschen zynisch oder skeptisch? Ehrlich gesagt bin ich von den aktuellen Diskussionen über das Thema eher ein wenig gelangweilt. Die gängige Managementliteratur kennt anscheinend nur zwei Manager-Typen. Da ist einmal der MBA-Studium gestählte Methodiker, der alle Zahlen kennt, Business-Cases rechnet und die KPIs verfolgt und mit an der Strategie ausgerichteten Ziel- und Incentive-Systemen die Organisation zum Erfolg führt. Auf der anderen Seite steht dann der Visionär und begeisternde Motivator, der mit seinen inspirierenden Ideen die Mitarbeiter zu Superleistungen antreibt und sie in völlig neue Welten führt. Zwischen diesen beiden Managertypen schwankt die Meute nun seit Jahrzehnten hin und her. Mal ist der Leader, mal der Technokrat gefragt. Ganz im Sinne der Waldbrandwissenschaft, Sie erinnern sich noch?
Mir ist das immer zu binär und zu extremistisch. In der ganzen Literatur bin ich im Laufe der Jahre nur auf ein Buch gestoßen (Patricia Pitcher: Das Führungsdrama, Klett-Cotta 1997), in dem neben dem Technokraten und dem Visionär, den Pitcher Künstler nennt, noch ein dritter Typ auftaucht: Der Handwerker. Das ist jemand, der die Inhalte seiner Arbeit liebt. Der sich seit langer Zeit mit IT oder Versicherungen oder Autobau beschäftigt und weiß, worum es da geht. Der gute Arbeit liefern will, aber kein Workaholic ist. Pragmatisch, zielorientiert, an neuen Methoden und Werkzeugen interessiert, aber nicht um ihrer selbst willen. Er ist an Mitarbeitern und Menschen interessiert, stellt aber durchaus auch Forderungen an Leistung und Output. So habe ich mich und den Beruf des Managers gerne sehen wollen. Mit den anderen beiden Typen habe ich eher meine Probleme.
Es ist sicher aus vielen meiner Beiträge auch Ihnen deutlich geworden, dass ich kein Freund der Technokraten bin. Man muss ihre Werkzeuge kennen und angemessen anwenden, aber sie blenden zu sehr das wichtigste Element in all unseren Unternehmungen aus: Den Menschen. Wie steht es nun mit dem Leader, Künstler, Visionär? Ich bin ihnen gegenüber nicht ganz so skeptisch wie Helmut Schmidt, der 1980 einmal sagte: „Wer Visionen hat, soll zum Arzt gehen!“ Es ist nicht schlecht, wenn man den einen oder anderen dieser Gattung in seiner Organisation hat, aber es taugt mir nicht als Rollenmodell für den Beruf Manager. Man beschreibt hier eigentlich Persönlichkeitsmerkmale, die man hat oder nicht hat, aber nicht als Beruf erlernen kann. Barack Obama ist man, das lernt man nicht.
Die Anforderungen an Management und an den Manager ändern sich. Aber nicht so sehr, weil da jetzt die Generation Z kommt. Oder weil vorher die anderen Generationen gekommen sind. Oder wenn trotz des Buchstabens Z dies nicht die „Last Generation“ ist und danach eine Generation mit welchem Buchstaben auch immer kommt. Es liegt eher daran, dass die Art der Arbeit sich verändert und die Arbeitsmittel und -methoden. Die Generation Z ist vielleicht in der glücklichen Situation – im Vergleich zu den letzten Generationen – auf einen leergefegten Arbeitsmarkt zu treffen und so einige ihrer Vorstellungen erst einmal leichter durchsetzen zu können. Aber ich bin überzeugt, dass sich da wie in früheren Jahren die Unterschiede im Laufe der Jahre abschleifen und verringern werden.
Den klassischen Chef, der wie vielleicht früher der Meister in einem Handwerksbetrieb das Fachwissen in sich vereinte, gibt es in den meisten Wissensarbeiter-Unternehmen sowieso nicht. Dafür ist das Spezialistenwissen meist viel zu vielfältig und verändert sich auch zu rasch. Und den großen Super-Controlletti, der aufpasst, dass alle pünktlich bei der Arbeit sind, nicht zu lange Pause machen etc. braucht es auch nicht mehr. Wenn man es unbedingt wollte, könnte man diese Art von Kontrolle technisch realisieren. Dias resultierende Bild vom Chef findet sich in der folgenden Geschichte wieder:
Ein Mann kommt in ein Zoogeschäft und möchte einen Papagei kaufen. Man zeigt ihm einen strahlend blauen Papagei, der 1000€ kosten soll. Kann der denn auch sprechen, fragt der Mann. Ja, fließend Deutsch und Englisch, versichert man ihm. Und was ist mit dem Roten da drüben? Der kann auch noch in Word und PowerPoint Beratung und kostet 2000€! Und was ist mit dem Grauen da hinten in der Ecke? Der kostet 5000€! Was kann der denn? Eigentlich nichts, aber die anderen sagen Chef zu ihm!
Vom heutigen Manager wird ein erkennbarer Mehrwert für die Arbeit seiner Mitarbeiter erwartet. Er muss mir helfen, Probleme zu lösen, Hindernisse aus dem Weg räumen, fehlende Ressourcen finden, Zielkonflikte auflösen usw. Dabei verändert sich auch die Blickrichtung des Managers von vertikal nach horizontal. Früher hat man vor allem die Menschen, die in der Hierarchie unter einem waren, dirigiert und an die Menschen über einem berichtet. Der Fokus auf diese Dinge verringert sich. Viele Informationen, viele Kommunikation findet hier mittlerweile durch elektronische Medien direkt statt, ohne dass der Manager in der Hierarchie noch als Vermittler gebraucht wird.
Die Manager heute sind viel mehr gefragt, sich mit anderen Managern auf ihrer Ebene in anderen Teilen des Unternehmens zu vernetzen, um etwa Probleme in abteilungsübergreifenden Projekten schnell lösen zu können. Wenn ich mir eine Abteilung in einer IT-Organisation anschaue, dann arbeiten die meist gar nicht so intensiv mit den Kollegen aus ihrer Abteilung zusammen, sondern eher mit Mitarbeitern von Geschäftsbereichen oder externen Dienstleistern sowie vielen anderen Stakeholdern. Immer wieder gibt es Dissens unter den Kunden über die Spezifikation von neuen IT-Systemen oder über Ressourcenkonflikte; es gibt zeitliche Verzögerungen, usw. Hier wird die Unterstützung des Chefs erwartet, hier sollte auch sein Wissen und seine Kompetenz vorhanden sein, um dem Mitarbeiter zu helfen. Wie es denn programmiert werden muss, wenn man die entsprechenden Entscheidungen denn hätte, weiß der Mitarbeiter dann schon selbst.
Die zweite Fähigkeit, die Manager heute viel mehr entwickeln müssen als früher, ist das Führen aus der Distanz. Schon lange hat es sich immer mehr eingebürgert, dass Menschen, die zusammenarbeiten nicht mehr zusammensitzen, also an einem Ort arbeiten. Durch Globalisierung, Outsourcing von Dienstleistungen, Kooperationen mit anderen Unternehmen und durch neue Organisationsformen etc. hat man sich sukzessive von der Vorstellung lösen müssen, dass die Mitarbeiter in einem enggefassten Raum arbeiten. Es gab zwar immer wieder Gegenbewegungen. So ist es gar nicht so lange her, dass überall „open space“ Büroflächen eingerichtet wurden, weil die Mitarbeiter ja nur richtig miteinander kommunizieren konnten, wenn sie praktisch im gleichen Raum lebten. Und in der ersten Digitalisierungswelle wurden auch noch fröhlich die tollsten Innovation-Labs eingerichtet, denn die erhofften Innovationen waren gar nicht zu erträumen, wenn die Mitarbeiter aus Geschäftsbereichen und IT nicht in diesen neuartigen Räumen unmittelbar zusammensaßen.
Aber durch die letzten Corona-Jahre dürfte dies sich endgültig erledigt haben. Der alte Traum der IT, dass der Ort für die Erbringung einer Arbeit in einer digitalen Welt zunehmend irrelevant ist, scheint sich zu realisieren. Zwar kann sich der Hype um die Heimarbeit durchaus noch einmal wieder beruhigen. Vielleicht ist es ja für einen Single doch auf Dauer nicht so gut, nur in seiner kleinen Wohnung zu hocken. Vielleicht entdecken junge Eltern mit kleinen Kindern, dass es sich zu Hause doch nicht so richtig arbeiten lässt. Vielleicht entdecken Unternehmen, dass ein Netzwerk von Home-Office-Söldnern in Krisenzeiten keinerlei Bindung an das Unternehmen entwickelt. Es gibt viele Gründe, warum sich die gegenwärtige Home-Office Euphorie noch legen kann, aber verschwinden wird diese Arbeitsform nicht mehr.
Damit muss man als Manager umgehen lernen. Die Beherrschung der Technik setze ich dabei als selbstverständlich voraus. Aber ich muss lernen, wie ich zufällige Begegnungen auf dem Flur, beim Kopierer, in der Raucherpause oder in der Cafeteria ersetze. Wie bekomme ich in den doch eher distanzierten MS-Teams Sessions nicht nur an die professionellen Informationen, sondern auch an die sozialen Informationen: Wie geht es dem Mitarbeiter, hat er Probleme, mit mir, mit Kollegen, …? Wie erfasse ich Stimmungen im Team, wenn ich die Menschen nicht vor mir sehe, wenn ich nicht mitbekomme, wer beim Vortrag des Kollegen einschläft, wer per Handy parallel mit anderen Kollegen hämische Chats austauscht usw.
Aber auch dies sind alles Werkzeuge, Techniken, die jeder Manager lernen kann. Ich glaube nicht, dass nun alle Manager neue Menschen werden müssen. Wenn sie ihre Werkzeuge beherrschen, die Inhalte ihrer Arbeit lieben, den Menschen respektieren, wahrnehmen und in den Mittelpunkt stellen und sich anstrengen, für ihre Mitarbeiter einen Mehrwert zu bringen, dann ist schon genug getan. Wenn wir alle unser Handwerk lieben, es gemeinsam immer weiter verbessern und ehrbare Kaufleute sind, dann würde ich mir um unsere Zunft keine Sorgen machen und auch nicht um unser Image!
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Rainer Janßen | 21.07.2023