Wenn irgendwo ein Hochhaus oder eine große Brücke gebaut wird, dann ist es selbstverständlich, dass die Statik von einem staatlich ausgebildeten und zertifizierten Experten abgenommen wird. Entwirft und baut ein Architekt ein Gebäude, dann darf hinterher nicht jeder daran beliebig rumbasteln und das Anfangskonzept verschandeln. Und wenn der Architekt des Münchener Olympiastadiums von dem Umbauentwurf nicht überzeugt werden kann, dann baut man eben die Allianz-Arena. Und auch Versicherungen dürfen nicht von jedem daher gelaufenen Mathematiker, Statistiker oder BWLer konzipiert werden. Dazu bedarf es einer besonderen Aktuarsausbildung und der Chef-Aktuar muss eine besonders herausgehobene Stellung im Unternehmen haben, damit seine Expertenmeinung nicht durch die Hierarchie unterdrückt werden kann.
Die IT ist da anders, demokratischer. Wir lassen jeden ran, an alles. Für die Eröffnung einer Kneipe muss man wahrscheinlich mehr Kenntnisse nachweisen als für die Gründung einer Softwarefirma. Wenn es denn Zertifizierungen gibt, dann sind es Herstellerzertifizierungen. Der Statiker wird also von einer ihm geneigten Betonfirma als Statiker zertifiziert? Dafür haben wir dann auch gegenüber unseren Kunden keinerlei Rechte. Viele nennen sich zwar Architekt, aber keiner unserer Architekten hat eine nur annähernde Macht über sein Design wie der richtige Architekt. Wenn wir einen Sportwagen designen und der Kunde einen Abschleppkran daran gebaut haben will, dann machen wir das.
Ich verstehe nicht, dass wir als Community diesen Zustand so klaglos akzeptieren. Noch weniger kann ich verstehen, dass die Gesellschaft dies akzeptiert. Die von uns gebauten Infrastrukturen sind nicht ohne Grund als hochkritisch eingestuft. Es wird intensiv das Risiko diskutiert, dass diese Strukturen durch Hacker zerstört werden können. Aber vielleicht fällt das Werk ja auch in sich zusammen, weil es von Laien gebaut wurde? Ein Kugelfisch-Sushi lässt man sich doch auch nur von Spezialisten zubereiten.
Die zweite in der Überschrift enthaltene Forderung ist auf den ersten Blick vielleicht etwas philosophisch und ich will sie nur noch kurz streifen. Die Informatik hatte bei ihrer Begründung zwei Ursprünge: Mathematik und Elektrotechnik. Beide Wissenschaften haben ganz unterschiedliche Herangehensweisen. In der Mathematik glaubt man eigentlich immer daran, dass es die richtige Lösung gibt, während ein Ingenieur Murphy´s Law als Grundvoraussetzung seiner Arbeit hinnimmt. Ein Mathematiker versucht ein System zu bauen, dass ausfallsicher ist. Ein Ingenieur baut ein System, dass sicher – in einen sicheren Zustand, nicht mit Sicherheit – ausfällt. Dies resultiert in zwei völlig unterschiedlichen Herangehensweisen, wobei ich, selber Mathematiker, die des Ingenieurs bevorzuge. Im Hinblick auf die Ausbildungskurse an unseren Hochschulen wäre es schon wichtig, sich einmal grundsätzlich auf die Denkschule, in der ausgebildet wird, zu verständigen.
Teil 8 “Echte Diversity hält im Management Einzug!” erscheint in Kürze.
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Rainer Janßen | 20.06.2018