Management – Anregungen zum Nachdenken und Diskutieren
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Serie: Management – Anregungen zum Nachdenken und Diskutieren

Teil 6: Mogeln? Machen wir doch alle!

 

Erinnern Sie sich noch an ihr letztes Klassentreffen? War es damals auch ein Thema, wer bei den Klassenarbeiten am geschicktesten gemogelt hat, die kreativsten Spickzettel produziert hat usw.? Es wird uns eigentlich in unserer Jugend systematisch beigebracht, dass so ein bisschen Mogeln völlig in Ordnung ist. Nun gut, man sollte sich nicht erwischen lassen, aber es führt keinesfalls zu gesellschaftlicher Ächtung. Auch in Jugendbüchern und -filmen taucht das Thema immer wieder auf.

Bei Studenten gibt es Untersuchungen zur Nutzung leistungssteigernder, verschreibungspflichtiger Präparate in den Klausurzeiten. Die Dunkelziffer ist wahrscheinlich hoch, aber mehr als 20% wenden diese wohl regelmäßig an, mehr als 50% gelegentlich und fast alle würden sie nehmen, wenn sie nebenwirkungsfrei wären.

Natürlich wissen wir, dass im professionellen Sport gedopt wird, und zwar teilweise mit erheblicher krimineller Energie. Unter den bis 2016 zehn schnellsten Menschen der Welt (100m Läufer) sind neun laut einer Statistik, die ich damals im Internet gefunden habe, irgendwann im Laufe ihrer Laufbahn des Dopings überführt worden, nur Usain Bolt war und ist bis heute anscheinend der einzige doping-freie auf dieser Liste. Ich kann das bei Profisportlern durchaus verstehen, denn in vielen Fällen gilt doch: The winner takes it all! Weder der zweite Platz bei der Tour, noch die Silbermedaille bei Olympia, noch der Vizeweltmeister im Fußball haben einen großen Vermarktungswert. Dabei geht es um viel Geld und den Lohn für sehr harte, lange Arbeit.

Erstaunt hat mich aber, dass es bei den Amateuren nicht so viel besser aussieht. Im Sommer 2019 gab es Berichte über eine gigantische Doping-Razzia in 33 Ländern. Eine große Anzahl von illegalen Labors wurde entdeckt, viele illegale Vertriebswege etc. Allein 24t Steroide wurden beschlagnahmt. Die Kunden waren dabei Hobbyathleten. Die Kontrollen sind in diesem Bereich zwar sehr gering, trotzdem mehren sich seit Jahren die Zeichen, dass etwa im Triathlon und im Marathon gerade von den Hobbyathleten verbreitet gedopt wird. Vor allem finden wohl Schmerzmittel immer breiteren Einsatz. Dabei könnte man doch sagen, hier geht es für die Menschen doch um nichts, zumindest nicht um viel Geld wie bei den Profisportlern oder um die Verwirklichung des Lebenstraums vom Medizinstudium für den Studenten, sondern bestenfalls um ein bisschen Ehre und Anerkennung bei Freunden und Kollegen. Warum machen die das?

Ich weiß es nicht. Ich erzähle es Ihnen auch nur, damit sie für das Folgende die Tatsache akzeptieren, dass Menschen die Neigung haben zu mogeln. Mit Mogeln meine ich dabei nicht die kriminelle Energie von Wirecard-Managern oder den Gastronom, der seine IT frisiert, um systematisch Schwarzgeld aus der Kasse nehmen zu können. Nein, es geht um die kleinen Dinge, die private Restaurantrechnung in der Steuererklärung, der Bürokaffee Zuhause, die Schwalbe oder das Handspiel beim Fußball, in die Karten der Mitspieler schauen beim Skat usw.. Dabei ist die Neigung zum Mogeln wohl am größten, wenn es um die Ermittlung von Bewertungen der eigenen Person geht, etwa um Gewicht oder Größe, Schulnoten, Studienklausuren, Volkslaufergebnisse, Marathonzeiten bis hin zu allen Messzahlen zum Vergleich von Mitarbeitern, Leistungsbeurteilungen in den Unternehmen, Zielvorgaben. Und nach meiner Erfahrung ist diese Neigung unabhängig von Bildungsgrad, Einkommen, Beruf und Geschlecht. Jeder – zumindest fast jeder – möchte einfach im Vergleich einigermaßen gut dastehen. Wir sind darin seit unserer Schulzeit trainiert. Es ist weitgehend gesellschaftlich akzeptiert – auch wenn man sich wenigstens bei den Abi-Prüfungen nicht erwischen lassen sollte. Und keine Personalabteilung der Welt kann die Mogler bei der Einstellprozedur rausfiltern. Nein, Sie werden immer genauso wie ihre Konkurrenz den gleichen und zwar hohen Prozentsatz an Moglern haben.

Warum erzähle ich Ihnen das so ausführlich? Weil Sie diese Eigenschaft Ihrer Mitarbeiter mindestens dann im Kopf haben sollten, wenn Sie über Steuerungsinstrumente für Ihre Mitarbeitern nachdenken. Sie sollten beispielsweise wissen:

  • Ein Vertriebsmensch, der unbedingt noch ein Projekt verkaufen muss, um sein Jahresziel zu erreichen, wird gerne die Risiken des Projekts kleiner darstellen, weil er dann einen niedrigeren Preis anbieten kann und eher Erfolg beim Kunden hat.
  • Ein Versicherungsvertreter, dem am Jahresende noch Umsatz für die Vorgabe fehlt, verkauft Ende Dezember an ein paar Freunde und Verwandte, die Anfang Januar kündigen.
  • Programmierer, bei denen man die Zahl der produzierten Lines of Code misst, haben sicher die Tendenz, mehr Kommentarzeilen oder toten Code einzufügen.
  • Man liest noch Zeitung im Büro, bis die U-Bahn kommt und sammelt so Überstunden.
  • Wenn die Projektaufwände den Plan nicht überschreiten sollen, verbuche ich eben Mitarbeitertage auf Verwaltungsaktivitäten.
  • Usw., usf., etcetera, …

Bei jedem Entwurf von Steuerungssystemen in Unternehmen kann ich deshalb zwei grundsätzlich unterschiedliche Wege einschlagen: Entweder versuche ich wenigstens die Incentives fürs Mogeln möglichst gering zu halten oder ich versuche das Mogeln durch ein intensives Controlling zu verhindern. Wie man am Sportdoping sieht, wird das Controlling sehr teuer und es gibt immer wieder Organisationsteile (beim Sport meist Länder), die ein hohes Interesse haben, Doping zu ermöglichen und die Kontrollen ins Leere laufen zu lassen.

Und wer gerne alles misst, weil er ja sonst nicht managen kann? Der sollte wenigstens einen Business Case machen, wieviel eine durch Mogelei gefälschte Zahl an Nutzen bringt und ob die Controlling-Aufwände möglicher Mogelei nicht den Nutzen völlig auffressen? Dieser Frage werden wir uns in vielen weiteren Themenbereichen immer wieder stellen müssen.

Fragen, Feedback und Kommentare zu diesem Beitrag senden Sie bitte an r.janssen@acent.de

Rainer Janßen | 02.12.2022

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