Wenn Sie ein eher schweigsamer Mensch sind, der nicht gerne mit Menschen zusammensitzt und mit ihnen spricht, der seine Ansichten nicht gerne anderen Menschen vermitteln will, diskutiert, auch streitet um die beste Lösung, unangenehme Veränderungen erläutert, Visionen und Motivation überträgt oder Lob und Tadel verteilt – dann sollten Sie um Himmels Willen kein Manager werden! Kommunikation ist ein ganz wesentlicher Teil Ihrer Aufgabe! Die können Sie nicht an eine Kommunikationsabteilung oder einen Redenschreiber delegieren. Diese können Ihnen vielleicht bei der Technik, mit ein paar schönen Videos oder einigen witzigen Cartoons helfen, aber Ihren Mitarbeitern zu vermitteln, wo es hingeht, warum es genau dahin gehen muss, was die Hilfsmittel und die Prioritäten sind, all das ist der Kern Ihrer Führungsaufgabe. Das müssen Sie selbst tun.
Deutsche sind traditionell in diesem Bereich sehr schlecht geschult. In angloamerikanischen Schulen und Universitäten wird das Debattieren, Präsentieren und Reden auf einem ganz anderen Niveau trainiert als in den deutschen Entsprechungen. Hans-Olaf Henkel, der bei IBM eher die amerikanische Redeschule durchlaufen hatte, sagte einmal über deutsches Management: „Ein deutscher Vorstand wird sich eher von seiner Ehefrau als von seinem Redemanuskript trennen!“ Aber bevor wir uns mit der Überbringung von Botschaften befassen, wollen wir uns zunächst einmal anschauen, wie denn die Botschaften entstehen, denn dabei werden schon die ersten großen und nicht wieder zu korrigierenden Fehler gemacht.
Achim Bachem war Professor für Angewandte Mathematik an der Universität Köln, bevor er in den Vorstand der DLR in Oberpfaffenhofen wechselte und später Chef des Großforschungszentrums Jülich wurde. Er wurde einmal gefragt, was denn der größte Unterschied zwischen seinem Leben als Mathematikprofessor und als Forschungsmanager war. Seine Antwort: „Als Mathematiker war ich dazu erzogen, in allem und immer die vollständige Wahrheit zu sagen, mit allen Voraussetzungen, Nebenbedingungen, Einschränkungen der Anwendbarkeit. Als Manager musste ich erst lernen, dass es nicht darauf ankam, dass ich das Richtige sagte, sondern darauf, dass das Richtige verstanden wurde.“
Lassen Sie sich diesen Satz mal auf der Zunge zergehen, kauen Sie ein bisschen darauf herum, lassen Sie ihn im Hirn kreisen. Wenn Sie beginnen, sich auf irgendeine Kommunikation vorzubereiten, muss Ihre erste Frage nicht sein „Was will ich sagen?“, sondern „Zu wem spreche ich überhaupt?“ Wenn ich ein neues IT-Projekt dem Vorstand vermitteln will, oder dem Anwender oder den eigenen IT-Mitarbeitern, muss ich nicht nur eine jeweils andere Sprache verwenden, sondern oft auch ganz andere Argumente anziehen. Sollten Sie den Fehler begehen, Ihren besten IT-Nerd auf den Vorstand loszulassen, der diesen natürlich über alle vorteilhaften Funktionalitäten der neuen Lösung, aber auch alle technischen Details aufklären will, dann können Sie lieber gleich Zuhause bleiben. Sie brauchen gnadenlosen Mut zur Vereinfachung, zum Weglassen störender oder verwirrender Details. Jetzt ist KLV-Sprache angesagt (KLV = Kinder, Laien, Vorstand)!
Oft spricht man auch vor stark gemischten Auditorien. Gerade bei Reden, die mit Unterstützung anderer vorbereitet werden, passiert es oft, dass die falschen Zuhörer angesprochen werden. Da gibt der Finanzvorstand eine brillante Kapitalmarktanalyse, die seine eigenen Spezialisten begeistert, aber eigentlich sollte er der breiten Masse der Führungskräfte im jährlichen Kick-off-Meeting erklären, warum sich Spielregeln ändern, Geld knapper wird etc. Dieser Teil des Auditoriums ist aber bald eingeschlafen.
Aber jetzt, werden Sie vielleicht ganz ungeduldig sagen, jetzt fangen wir mit der Arbeit an. Material sammeln, ordnen, PowerPoint anschalten usw. Nein, machen wir nicht. Jetzt denken wir nämlich erst einmal darüber nach, was wir mit der Kommunikation erreichen wollen. Woran soll sich der Zuhörer eines Vortrags 15 Minuten nach dem Vortrag noch erinnern? Welche drei (nicht mehr) Botschaften soll er noch an Kollegen weitergeben können? Wenn die Zuhörer mit einer Masse von Information überwältigt werden, sind sie vielleicht am Ende beeindruckt, aber sie können nicht mehr sagen, was denn eigentlich die Botschaft war. Deshalb ist hier Reduktion und Konzentration angesagt.
Die Zeit für die Vorbereitung einer bestimmten Kommunikation mag je nach Anlass und Zuhörerkreis mal größer und mal kleiner sein, aber sie ist immer begrenzt und festgelegt. Meine Erfahrung sagt, dass fast immer viel zu wenig darüber nachgedacht wird, zu wem ich spreche und was ich erreichen will und viel zu viel Zeit verschwendet wird, Daten, Fakten, Beispiele, ganz viele interessante Themen zu sammeln, und diese dann mit unglaublichem Aufwand in perfekten Folien abzubilden. Damit ist dann oft der ganze Aufwand wirkungslos und eine Verschwendung von Ressourcen, aber, viel schlimmer noch, eine verschwendete Gelegenheit, bei Ihren Mitarbeitern die erhoffte Wirkung zu erzielen.
Denn darum geht es doch am Ende! Sie reden nicht, weil Sie einen Schönheitspreis gewinnen wollen. Sie wollen eine Wirkung erzielen. Verständnis für die neue Strategie, Unterstützung bei den angestrebten Veränderungen, Motivation und Engagement für die ausgegebenen Ziele. Nehmen Sie sich Zeit für dieses Thema. Es zahlt sich aus. Dabei kann vieles einmal durchdachte auch wiederverwendet werden. Nach Ihrem ersten Auftritt beim Vorstand werden Sie Ihre Ersteinschätzung nochmal korrigieren müssen, aber mit jedem Mal werden Sie sicherer. Gleiches gilt für Vorträge in Abteilungsversammlungen usw.
Aber Kommunikation will auch geplant sein, denn es reicht ja nicht, es einmal zu sagen, dann weiß es ja jeder. Wie ich im letzten Abschnitt erläuterte, ist das Beharrungsvermögen von Menschen und Organisationen groß. Sie müssen die Botschaften immer wieder – in unterschiedlichen Medien, Kommunikationsformen, Teilnehmerkreisen – verbreiten. Wenn Sie glauben, Sie müssten es nur verkünden, dann ein paar KPIs verfolgen, die Erfolgreichen belohnen und die anderen bestrafen, dann irren Sie. Sie unterschätzen vor allem die Kreativität und den Erfindungsreichtum von insbesondere Wissensarbeitern, die KPIs mit dem richtigen Doping hinzukriegen und dennoch weiter im Alten zu verharren.
Allerdings sollte man lieber nicht vergessen, dass Kommunikation nicht nur aus Reden besteht, sondern dass sie in zwei Richtungen geht. Zuhören gehört auch dazu. Nicht zuhören kann für einen Manager außerordentlich gefährlich sein.
Einer meiner Abteilungsleiter beklagte sich am Rande unserer regelmäßigen Managermeetings immer wieder über ein Problem mit unserer Softwareentwicklungsumgebung. Das sei alles so schwierig und würde so viel Arbeit kosten. Ich hatte es für mich abgetan, dachte mir, wir haben es alle schwer und du auch. Bis es mir dann fast um die Ohren flog, dies ignorierte Problem. Wir mussten wegen einer Gesetzesänderung das SAP-System für die Personalabteilung auf ein neues Release heben. Diese neue Technik arbeitete aber nur mit einer neueren Version der Softwareumgebung zusammen, in der wir viele andere Anwendungen geschrieben hatten. Wir mussten also auch diese erzwungenermaßen alle bis zu dem durch die Gesetzesänderungen befohlenen Termin ändern. Mit viel Einsatz sind wir knapp an einem sehr dicken Baum vorbeigeschrammt.
Ein andermal habe ich zugehört. Gott sei Dank! In der Zeit gab es unmittelbar neben unserem Bürogebäude ein wunderschönes Kellerlokal: den Schwabinger Augustiner. Ich bin da am Freitagnachmittag gerne vor der Heimfahrt eingekehrt, um bei einem guten Augustiner die Woche zu verarbeiten. Es fand sich immer ein Tisch mit Kollegen, wo ich mich dazu setzen konnte. Während eines größeren Umstellungsprojekts in der Infrastruktur unserer IT saß ich bei einigen externen Technikern, die in dem Projekt mitarbeiteten. Was sie mir über das Projekt erzählten, hörte sich deutlich anders an als alles, was mir auf den normalen Wegen bisher über das Projekt berichtet wurde. Am nächsten Montagmorgen berichtete ich meinem Stellvertreter und Abteilungsleiter Infrastruktur von dem Gespräch. Leider war das Gespräch im Augustiner näher an der Wirklichkeit als die offiziellen Projektberichte, aber meinem Kollegen gelang es noch, das Steuer herumzuwerfen und den Terminplan zu retten.
Was lernen wir aus den beiden Geschichten? Es ist wichtig zuzuhören und Störsignale wahrzunehmen. Gerade sehr engagierte, ehrgeizige Mitarbeiter haben oft die Tendenz, Probleme erst einmal selber lösen zu wollen. Und nicht jeder schreit gleich laut genug, so dass man immer wieder zum Überhören neigt. Und je weiter man sich in der Hierarchie nach oben bewegt, desto mehr muss man sich bewusst sein, dass gute und schlechte Nachrichten eine unterschiedliche Reisegeschwindigkeit in Hierarchien haben. Gute Nachrichten gehen schnell nach oben, aber nur langsam in Form von Lob und Gehaltserhöhungen nach unten. Schlechte Nachrichten gehen oft schnell nach unten, aber meist nur langsam nach oben. Besonders Letzteres ist ein großes Problem. Man muss sich also als Manager überlegen, wie man an der Hierarchie vorbei unmittelbare Informationen von der Basis bekommen kann. Zuhören, Hineinhorchen in die eigene Organisation muss für den Manager ein regelmäßiger und aktiver Prozess werden, der genauso systematisch betrieben wird wie das Reden. Welche Instrumente man da wählt, hängt sicher von der Unternehmenskultur, der Organisation und vielem anderen ab.
Mal ein kleines Beispiel, worüber man eventuell nachdenken muss, wenn man hierarchieübergreifende Kommunikation will. Arbeiten Sie etwa in einer open space Umgebung, ist es theoretisch ganz einfach, mal bei einem Mitarbeiter stehen zu bleiben und ein bisschen nachzufragen. Nachteil: Es sieht jeder, auch die Kollegen und Chefs. Und die fragen dann nach, was der große Chef von dem armen Kollegen wollte. Wenn die Unternehmenskultur sehr von der Hierarchie geprägt ist, müssen Sie achtgeben, dass hier nicht unnötig Porzellan zerschlagen wird. Vor allem müssen Sie immer achtgeben, dass Sie gerade bei Ihrem „Informanten“ keinen Schaden anrichten. Und bestrafen Sie niemals, wirklich niemals den Überbringer schlechter Botschaften, selbst wenn der Überbringer der schlechten Nachricht auch der Verursacher des Problems ist. Denn wenn ich als Leiter eines Teilprojektes weiß, dass ich den nächsten Meilenstein nicht zeitgerecht liefern kann, und weiß, dass ich beim Überbringen der Botschaft bestraft werde, dann warte ich bis zum letztmöglichen Termin, denn es könnte ja ein Kollege schwächere Nerven haben und sein Problem melden. Dann kann ich es bedauern, dass ich nun nicht ausliefern darf – und still und leise mein Problem lösen. Jeder Tag, den Sie ein kritisches Problem früher erfahren, ist oft viel Geld wert. Deswegen investieren Sie Zeit in hierarchieübergreifendes Zuhören und schützen Sie Ihre Kanäle!
Ein kleines Beispiel, wie man auch an kritische Informationen herankommen kann, will ich Ihnen doch erzählen. Ich habe von Kollegen aus der Finanzabteilung, die für Mergers & Acquisitions zuständig waren, einmal vom Konzept des „Nicht-Gesprächs“ gehört. Es kommt aus der Diplomatie und bedeutet in etwa: Lass uns mal miteinander reden, aber vorher fest vereinbaren, dass wir nie miteinander geredet haben! Ich habe jeden neuen Mitarbeiter nach etwa einem Monat zu einem Begrüßungsgespräch eingeladen, um zu erfahren, wie er angekommen ist. Dabei habe ich jedem das Nicht-Gespräch erläutert und ihm angeboten, wann immer er sich in einer Situation befindet, in der nicht weiß, wie er damit umgehen soll, ob er nur etwas nicht richtig einordnen kann oder der Chef oder die Firma bekloppt sind, ob er eskalieren muss oder ob ich den Zustand erklären kann, ein solches Nicht-Gespräch bei mir zu beantragen. Manchmal haben wir dann gemeinsam am Ende beschlossen, etwas zu tun. Manchmal haben wir es ruhen lassen. Aber ich bekam so immer wieder Hinweise an zwei Schichten Hierarchie vorbei, wo etwas nicht stimmte in meinem Laden. Man muss allerdings mit dieser Situation sehr vorsichtig umgehen und ich gestehe, dass ich mich einmal gegenüber dem Manager einer Mitarbeiterin verplappert habe, was mir heute noch leid tut.
Zum Schluss noch zu Ihrer eigenen Rolle als Kommunikator. Sie sind ja meist nicht nur Manager, sondern auch Mitarbeiter von anderen Managern und müssen Probleme oder unangenehme Botschaften nach oben transportieren. Ich habe die oben erzählte Geschichte von einem Abteilungsleiter, der immer wieder mit derselben Geschichte ankam, mal meinem Freund Gunter Dueck erzählt. Er sagte mir dazu, dass Seneca mal gesagt habe: Was beschwert ihr euch, wenn ich immer wieder das Gleiche sage, wenn ihr doch immer wieder das Gleiche tut! Und Dueck meinte dann: Seneca hat Unrecht. Du musst deine Sache so laut sagen, dass sie wirklich jeder hört – und dann die Klappe halten. Sonst bist du nur der Dauernörgler. Später saß ich dann einmal in dem größten Projekt meiner Laufbahn auf einem ganzen Ordner voller Emails an Vorstände, Lenkungsausschüsse, Fachbereichsleiter etc., weil wir einfach nicht die benötigten Ressourcen – Qualität und Quantität – aus den Fachbereichen bekamen. Ich habe dann eine E-Mail an den Gesamtvorstand geschickt, das so laut war, dass es keiner überhören konnte. Mein Chef hat mich unmittelbar nach Absenden angerufen und zornig gefragt, warum ich ihm die Mail nicht vorher gezeigt habe. Auf meine Frage, ob ich sie dann hätte senden dürfen, antwortete er ehrlich: „Wahrscheinlich nicht.“ Der Vorstand hat dann zwar längere Zeit nicht mehr mit mir geredet, aber wir haben die Ressourcen dann bekommen.
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Rainer Janßen | 19.12.2022